Hutnadeln

Zwei Hutnadeln

Nadelspitz und stolze 27 cm lang die eine, sogar 31,5 cm lang die andere – hübsch anzusehen, doch nicht ungefährlich: zwei Hutnadeln. Am 7. Mai 1912 berichtete die Bielefelder Presse über das Problem der Hutnadeln in der Straßenbahn. Wenn die Wagen voll besetzt seien, wären bereits mehrmals Fahrgäste von den teilweise weit abstehenden spitzen Enden der Hutnadeln verletzt worden. Das städtische Betriebsamt orderte daraufhin Hülsen, die von den Schaffnern an die Hutträgerinnen verkauft wurden. Außerdem appellierte man an die Damen, vor der Fahrt ihre Hutnadeln zu sichern oder zu entfernen.

Wie war es überhaupt zu diesen überdimensionalen Befestigungsvorrichtungen gekommen? Vereinfacht gesprochen, hatte sich die Silhouette in der Damenmode von 1860 bis 1910 genau ins Gegenteil verkehrt. In den 1860er Jahre gab die Mode ausladende Krinolinenkleider vor, die in einer schmalen Taille, eng anliegendem Oberteil und kleinen, meist runden Hüten ihren oberen Abschluss fanden. Um 1910 war dagegen eine schmale Silhouette für die Dame das non plus ultra. Unterstützt durch das sans-ventreKorsett („ohne Bauch“), zeigte die ganze Figur einen eleganten S-Schwung mit bodenlangen engen Kleidern oder Röcken, die nur kurze Schritte zuließen. Als Ausgleich hatten die Hüte die Dimensionen von Wagenrädern angenommen. Die breitrandigen Hüte trugen meist einen fantasievollen Aufputz aus Straußen- oder Reiherfedern, Kunstblumen, Schleifen und anderem Zierat. Entsprechend anfällig waren diese Kopfbedeckungen für jeden Windstoß. Die riesigen Hutnadeln verbanden jedoch Hut und Frisur der Dame zu einer festen Einheit.

Neben ihrer praktischen Funktion waren Hutnadeln ein wichtiges Modeaccessoire und wurden entsprechend aufwendig gestaltet, um dem Hut gleichsam noch ein Schmuckstück hinzuzufügen. Unsere beiden Exemplare sind relativ schlicht aus unedlen Materialien, aber es gab durchaus auch silberne und mit Steinen besetzte Hutnadeln. Als die ausladenden Hüte mit dem Ersten Weltkrieg aus der Mode kamen, war auch die Zeit der langen Hutnadeln vorbei, die findige Frauen durchaus auch für andere Zwecke zu nutzen verstanden: Als Berta Benz 1888 heimlich mit dem Automobil ihres Mannes die erste Fernfahrt unternahm, konnte sie eine verstopfte Benzinleitung mit ihrer Hutnadel freilegen und die Reise erfolgreich fortsetzen.