Westfalen malerisch klein

Das malerische und romantische Westfalen

Drei Namen, die in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts Gewicht haben, trugen zu diesem Buch bei, das wie kein zweites für lange Zeit die Vorstellung von Westfalen geprägt hat: Ferdinand Freiligrath, Levin Schücking und Annette von Droste-Hülshoff. Den Grundklang gibt schon der prächtige Einband vor. Ritter vor einer wehrhaften Burg, ein Klausner beim Läuten, eifrige Zwerge an einem Amboss, obenan das Westfalenross – die ferne Welt des Mittelalters, der Sagen und Legenden bestimmt den Inhalt, obwohl Westfalen bereits auf dem Weg in die Moderne war.

Ab 1836 erschien in Leipzig das auf zehn Bände angelegte Serienwerk „Das malerische und romantische Deutschland“. 1842 reihte sich der Band über Westfalen in diese Folge reich illustrierter Bücher ein. Sie atmeten den Geist der Romantik, der inzwischen zum Zeitgeist geworden war, und sprachen damit hauptsächlich das Bildungsbürgertum an. Auf Initiative des Verlegers Langewiesche in Barmen begab sich Freiligrath 1839 auf eine Fußreise durch Westfalen zusammen mit dem Zeichner Carl Schlickum: „Westfalen ist den Leuten draußen eine terra incognita; – ich werd´es durchschreiten mit der Axt in der Hand, seine Wälder zu lichten.“ Während Schlickum mit dem Stift malerische Ansichten festhielt, die später als Stahlstiche das Buch zierten, sammelte der Schriftsteller Eindrücke der Landschaft als Grundlage für seinen Text. Als es jedoch an die Ausarbeitung gehen sollte, machte Freiligrath einen Rückzieher. Im September 1840 übergab er seine Notizen an den Freund Levin Schücking, der innerhalb von acht Monaten das Manuskript zustande brachte. Zu Recht stehen beide als Verfasser auf dem Buch.

Durch Schücking, der damals erst 26 Jahre alt war, kam auch Annette von Droste-Hülshoff ins Spiel, die den jungen Schriftsteller unter ihre Fittiche genommen hatte. Sie steuerte verschiedene Balladen, Sagenstoffe und Landschaftsschilderungen bei, die Schücking mehr oder weniger willkürlich mit konkreten Orten verband. Großen Wert legte Schücking auf die mittelalterliche, vorreformatorische Geschichte. Die Landstriche Westfalens wurden recht ungleichmäßig berücksichtigt, je nach Materiallage und ihrer Eignung für eine romantisierende Betrachtung. So formte sich das Bild eines Westfalen nach alter Väter Sitte, beharrend, konservativ, katholisch, das aktuelle Krisen und Konflikte ausblendete.

1872 erschien die zweite Auflage des „malerischen und romantischen Westfalen“, 1890 die dritte und 1898 die vierte, die hier vorliegt. Die Illustrationen sind zahlenmäßig angewachsen und verwenden moderne Drucktechniken, aber der „malerische“ Blickwinkel bleibt gewahrt. Dennoch hat Levin Schücking in der noch von ihm bearbeiteten Auflage von 1872 den Veränderungen Rechnung zu tragen versucht, die seit der Erstauflage eingetreten waren: „In dreißig Jahren ist Westfalen eines der bedeutendsten Industrie-Länder der Welt geworden… neben dem verlassenen alten Heerwege rollen heute landauf landab… die Feuerrosse mit unabsehbaren Zügen, und kein Horizont ist mehr zu sehen, der nicht steilrecht durchschnitten wäre von den schwarzen Linien der oft zahllosen hohen Essen.“ Und so gibt der Band von 1898 nicht nur in aller Breite die legendäre Baugeschichte der Sparrenburg und das Landschaftsbild wieder, welches das „freundliche Bielefeld mit seinen Leinwandbleichen“ von der Höhe aus bietet, sondern erwähnt immerhin die mechanischen Spinnereien und Webereien und Entstehung und Wachstum der v. Bodelschwingh´schen Anstalten.