Langes Künstler klein

Album „Langes Diele“

Haben die „roaring twenties“ ein klein wenig auch in Bielefeld stattgefunden? Wenn wir uns dieses Foto anschauen, scheint es fast so zu sein. Vor der Kamera von Ernst Lohöfener ist ein munteres Völkchen auf der Bühne von „Langes Diele“ zusammengekommen, inklusive zweier Hunde (man beachte den Spitzenkragen der Bulldogge!). Die Dekoration in schönstem Art Déco und das Monokel im Auge des zweiten Herrn von links deuten an, dass hier in der Niedernstraße 16 dem verehrten Publikum ein wahrhaft großstädtisches Vergnügen geboten wurde.

Gustav Adolf Lange stammte aus Hannover. Im Ersten Weltkrieg leitete er im besetzten Belgien unter anderem das Kasino der Eisenbahn-Militär-Generaldirektion in Brüssel. Später betrieb er auch in Cambrai und Antwerpen Theater. Im Februar 1919 eröffnete er in Bielefeld in der Niedernstraße eine Tee- und Weinstube. Lange investierte dann nach eigenen Angaben ca. 100.000 Mark für den Umbau des Hauses zu einer Varietébühne. Schwierigkeiten bereitete die Singspiel-Konzession, die er bei der Stadt beantragt hatte. Flankiert vom „Arbeitsausschuss der alkoholgegnerischen Vereine“ hielt die Verwaltung die Dichte an Vergnügungslokalen in Bielefeld für völlig ausreichend und verweigerte die Konzession. Lange wandte sich an die Bezirksregierung in Minden, die aber gleichfalls ablehnte und ihn beschied: „Es kommt heute mehr denn je darauf an, daß das Volk wieder sparen lernt und sich nicht in einen Trubel von Vergnügen stürzt.“ Langes Künstlerdiele klein

Trotzdem gelang es dem Direktor anscheinend, seine „Künstlerdiele“ zum Erfolg zu führen. Er bot jeweils ein Nachmittags- und Abendprogramm, das Kabarett, Gesang, Rezitationen und Tanzdarbietungen vereinte. Dazu konnte er bekannte Künstler wie den Komiker Carl Napp, die Filmschauspieler/-innen Lilly Flohr, Uschi Elleot, Elly Glaßner und Ludwig Trautmann oder die komplette Berliner Revue „Laufe keiner Frau nach…“ verpflichten. Das Musikprogramm reichte von Wiener Schrammelmusik über klassische Darbietungen bis zur Jazzband. Eine gepflegte Hauskonditorei, beste Weine und Liköre und sogar ein Whisky-Sortiment sorgten dafür, dass der Ruf als „Schlemmerstube“ wohl nicht unberechtigt war. Das Album im Historischen Museum ist mit Anzeigen, Programmen, Zeitungsartikeln und Fotos gefüllt, die einen kleinen Einblick in die Welt der Vergnügungslokale in Bielefeld geben, die sonst kaum im Fokus der Historiker stehen.

Langes Ehrgeiz war mit seiner Bielefelder „Diele“ nicht gestillt. 1920 übernahm er zusätzlich die „Sanssouci-Diele“ in Wiesbaden und 1924 das „Tivoli-Varieté“ in seiner Heimatstadt Hannover. Damit scheint er sich übernommen zu haben, denn er musste in Bielefeld Konkurs anmelden und war sogar kurze Zeit in Haft. Danach scheint ihm aber der Neustart geglückt zu sein. Bis in die ersten Kriegsjahre bot „Langes Diele“ den Bielefeldern Unterhaltung, dann ging das Haus im Bombenkrieg unter. 1952 entstand an gleicher Stelle eine neue „Diele“ unter anderer Leitung, die bis in die 1970er Jahre bestand, aber auf eine Bühne verzichtete. Gustav Adolf Lange hatte zum zehnjährigen Bestehen seines Etablissements dessen Eröffnung 1919 als „die erste großstädtische Regung“ in Bielefeld gewertet und dabei geseufzt: „Es fehlt den Bielefeldern gemeiniglich an einem Schuß Sekt im Blut.“