Schuhlöffel, 1920er Jahre

Ein schicker Damenschuh mit Schleife ziert den Schuhanzieher. Das ansonsten wenig aufregende Alltagsgerät, das es Mann und Frau erleichtert, in den Schuh zu schlüpfen, erzählt aber noch eine Geschichte, die in eine ganz andere Richtung führt. Der Schuhlöffel stammt, wie die eingravierte Schrift besagt, aus dem Schuhgeschäft des Bielefelder Konsumvereins.

Die Idee der Konsumgenossenschaft hat in Bielefelds englischer Partnerstadt Rochdale ihre Wurzeln. Dort tat sich 1844 eine Anzahl von Webern zusammen und gründete die Vereinigung der „redlichen Pioniere von Rochdale“. Sie wollten die Versorgung der Arbeiterschaft mit preisgünstigen und unverfälschten Nahrungsmitteln sicherstellen und sie aus der Abhängigkeit von den örtlichen Kramläden lösen. Mit einem geringen Betrag ließen sich Genossenschaftsanteile erwerben, die nicht nur eine gewisse Verzinsung in Aussicht stellten, sondern unabhängig von der Höhe der Einlage das volle Stimmrecht bei allen Entscheidungen der Vereinigung beinhalteten.

Seit den 1860er Jahren breitete sich der Genossenschaftsgedanke auch in Deutschland allmählich aus. Als im Jahr 1891 die Kartoffelernte im Bielefelder Raum durch schlechte Witterung fast komplett ausfiel und die Preise für dieses Grundnahrungsmittel explodierten, sorgten Arbeiter von Dürkopp und Hengstenberg & Co. für Entlastung. Sie orderten auf gemeinsame Rechnung einige Güterwaggons voll Kartoffeln aus Sachsen zu erheblich niedrigeren Preisen. Aufgrund dieser positiven Erfahrung wurde 1892 der Bielefelder Konsumverein gegründet. Das erste Warenlager befand sich in der Rohrteichstraße in einer ausrangierten Kegelbahn. Bereits am Ende des Jahres zählte der Verein 833 Mitglieder. In den nächsten Jahren expandierte die Genossenschaft immer weiter und errichtete zahlreiche Verkaufsstellen.

In der Waldemarstraße entstand 1898 ein Zentrallager, das zum Kern weiterer Konsumgebäude wurde, als der Verein zur Eigenproduktion überging. Neben einer Kaffeerösterei ist vor allem eine Großbäckerei mit 14 Backöfen zu erwähnen, die 1909 in Betrieb ging. Neue Geschäftsfelder wie eine Sparkasse und der Wohnungsbau kamen hinzu. 1913/14 errichtete der Konsumverein an der Meller Straße einen Baukomplex mit 69 Wohnungen und zwei Läden, der noch heute existiert. Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg brachten eine weitere Ausdehnung. Die Schlachterei mit dem weithin sichtbaren Turm (heute Ostmannturm) bezeugte das Selbstbewußtsein des Konsumvereins, der 1926 in 85 Verkaufsstellen, 14 Fleischerläden und je einem Feinkost-, Möbel-, Zigarren- und Schuhladen insgesamt 560 Menschen beschäftigte. Zum Warentransport standen neben 35 Fuhrwerken auch schon 18 Lastkraftwagen zur Verfügung.

All das rissen sich die Nationalsozialisten unter den Nagel, die reichsweit die Konsumvereine liquidierten. Nach 1945 fingen die Genossenschaften bei null wieder an und erlebten einen steilen Aufstieg. Seit 1954 konnten sie auch an Nichtmitglieder verkaufen, gerieten aber zunehmend in den Wettbewerb mit anderen Anbietern. Die Bindungskraft der Genossenschaftsidee nahm ab. In den 1960er Jahren fusionierten mehrere Konsumvereine zur „Coop Ostwestfalen-Lippe“, die 1974 in die AVA AG mit den „Marktkauf“-Warenhäusern umgewandelt wurde. Aus einer Kooperation mit der Edeka-Handelsgruppe entstand eine Beteiligung, die zu einer allmählichen Übernahme durch Edeka führte.