Ex libris Wilhelm Kürten

Ein kleines grafisches Blatt, dem fliegenden Vorsatz gegenüber auf den Innendeckel des Buches geklebt, gibt Auskunft über dessen Besitzer: das Ex libris. Über den reinen Besitzvermerk hinaus verdeutlicht es den Stolz auf die eigene Bibliothek und kann eine Menge über den Eigner des Buches erzählen. Die kleinen grafischen Kunstwerke gehen auf individuelle Interessen und Vorlieben des Besitzers ein, oft nehmen sie auch Bezug auf seinen Beruf. In diesem Fall führt es zu einem für Bielefeld nicht unerheblichen Wirtschaftszweig, der Seidenweberei.

Das Ex libris ist aufgeteilt in ein großes und zwei kleine Bilder. Diese zeigen den Seidenspinner (Bombyx mori) und seine Raupe auf einem Maulbeerbaumblatt. Seit Tausenden von Jahren wird der Kokon, in dem sich die Raupe verpuppt, als Rohseide verarbeitet. Er besteht aus der äußeren Flockseide und einem ca. 900 Meter langen Seidenfaden, den die Raupe aus ihren Spinndrüsen hervorbringt.  Auf dem großen Bild schreitet ein Seidenweber durch eine Heidelandschaft. Er trägt die typische Kleidung, einen Kittel und eine Mütze, die aus Seide gefertigt war. Über die Schulter hat er den Putzbaum geworfen, auf den die fertigen Stoffe gewickelt sind, und in der Hand trägt er einen Sack mit leeren Spulen. Bei dem Seidenfabrikanten angekommen, gab er seine Ware ab und erhielt neues Seidengarn für seine Spulen.

Das Ex libris gehörte Wilhelm Kürten, Inhaber der Seidenweberei Hermanns & Kürten in Spenge und Bielefeld. Durch die große Leinenkrise in den 1830/40er Jahren kam in Bielefeld der Gedanke auf, die blühende Seidenweberei am Niederrhein nach Ostwestfalen zu verpflanzen. Den Anfang machte 1846 die Firma E. A. Delius & Söhne. 1860 gab es bereits elf Firmen mit 1000 Handwebstühlen, von denen die meisten jedoch bald eingingen. Fünf größere Unternehmen aber überlebten und blieben erfolgreich am Markt, darunter die 1913 gegründete Firma Hermanns & Kürten. Firmensitz war Bielefeld, während in Spenge die Produktion stattfand, im Jahr 1925 mit 56 Beschäftigten. Hermanns & Kürten übernahm 1938 im Zuge der „Arisierung“ sogar die erheblich größere Seidenweberei von Gustav Königsberger in St. Tönis am Niederrhein. Dort endete die Produktion 1960, in Spenge neun Jahre später.

Wilhelm Kürten hat also in seinem Ex libris zugleich dem Gewerbe ein Denkmal gesetzt, dem er seinen Wohlstand verdankte. Dafür verpflichtete er einen namhaften Künstler, Otto Ubbelohde (1867-1922).  In Marburg geboren und in München ausgebildet, wurde Ubbelohde Mitglied der Willingshäuser Künstlerkolonie und der einfühlsame Maler der hessischen Landschaft. Daneben schuf er ein vielseitiges grafisches Werk, von dem die Illustrationen zu den Märchen der Brüder Grimm ihn in ganz Deutschland bekannt machten. Ein wenig von dem Zauber einer längst vergangenen Zeit liegt auch in dem Bild des Webers, der rüstig durch die karge Landschaft wandert.