Briefmarken 1919 ·

Wer Briefmarken sammelt, kommt seit 100 Jahren an den Michel-Katalogen nicht vorbei, die international als Nachschlage- und Referenzwerk dienen. Im Mai 1919 wendet sich Hugo Michel an das Reichspostministerium um zu erfahren, wie die neuen Briefmarken zur Nationalversammlung aussehen werden, auf die Sammler im In- und Ausland bereits warten. Am 1. Juli gibt die Reichspost drei so genannte „Erinnerungsmarken“ heraus, die nur im Inland gültig sind. Aus Weimar, wo die Nationalversammlung seit Februar tagt, gelangen die drei Marken am 10. Juli mit einem Sonderstempel versehen auch an einen Bielefelder Philatelisten.

Vorausgegangen war ein fundamentaler politischer Wandel. Kaiser Wilhelm II. hatte abgedankt, nachdem die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg unabwendbar geworden war. Am 9. November 1918 rief der SPD-Politiker Philipp Scheidemann die Republik aus. Am 19. Januar 1919 waren erstmals alle deutschen Männer und Frauen über 20 Jahren aufgerufen, eine Nationalversammlung zu wählen. Wegen des Spartakusaufstands trat sie nicht in Berlin, sondern am 6. Februar in Weimar zusammen. Um die erste Republik auf deutschem Boden zu propagieren, wurde eine Postkarte mit dem Hoftheater als Sitz der Nationalversammlung herausgegeben und eine Briefmarkenserie anlässlich der offiziellen Eröffnung am 1. Juli 1919 beauftragt.

Das Reichspostministerium hatte dafür zu Jahresbeginn einen Wettbewerb ausgelobt, der mit insgesamt 25000 RM dotiert war. Die Zeit für die Entwerfer war sehr knapp, denn bereits Mitte März sollte das Preisgericht zusammentreten.  In der 14-köpfigen Jury fanden sich bekannte Namen wie Walter Gropius und Max Pechstein, die unter 4682 Entwürfen zu wählen hatten. Bei der 10 Pfennig-Marke entschieden sie sich für das Motiv des Stuttgarters Hugo Frank mit einem stilisierten roten Baum auf weißem Grund. Die 15 Pfennig-Marke mit Getreideähren entwarf der Berliner Maler und Gebrauchsgrafiker Ernst Böhm. Ebenfalls aus Berlin kam der Grafiker Georg Alexander Mathéy, der den Preis für die 25 Pfennig-Marke gewann. Er wählte ein figürliches Motiv in ägyptisierendem Stil, einen Maurer mit Kelle, der ein Brett mit Steinen über dem Kopf trägt. Im Februar 1920 kam noch ein Wert zu 30 Pfennig in gleicher Gestaltung hinzu.

Als der Markensatz erschien, traf er nicht überall auf Zustimmung. Im Vergleich zu der bewährten und nach wie vor gültigen Briefmarkenserie mit der Germania, die eine äußerst differenziert gezeichnete Figur vorstellte, wirkten die neuen Marken grob und fremdartig. In der Nationalversammlung gab es eine Debatte über die Briefmarken, die durch Unverständnis und Spott gekennzeichnet war und einen Vorgeschmack gab auf die weit heftigere Auseinandersetzung über eine Neugestaltung des Reichsadlers, die ein Jahr später ausbrechen sollte. Für Philatelisten hat die Markenreihe heute keinen besonderen Wert, aber als Zeichen des politischen Neuanfangs mit der ersten deutschen Republik ist sie dennoch bemerkenswert.