Rennrodel

Auch wenn der Winter in diesem Jahr ernst zu machen scheint, denkt man bei Wintersport bestimmt nicht an Bielefeld. Zwar warb das Städtische Verkehrsamt in den 1920er Jahren, als noch weit mehr Schnee lag, mit den Loipen und Abfahrtsmöglichkeiten im Teutoburger Wald, aber als Wintersportort taugte Bielefeld schon damals wohl nicht. Was macht also dieser Rennrodelschlitten in der Sammlung des Historischen Museums?

Die Geschichte dieses Objekts ist untrennbar mit der Person von Erika Schönnagel, geb. Schiller verbunden. Geboren im Jahr 1924, wuchs sie im Riesengebirge auf. Ihr Heimatort Brückenberg lag 800 Meter hoch und war im Winter tief verschneit. Skifahren und Rodeln lagen ihr daher im Blut. Bereits mit 16 Jahren bestritt sie ihr erstes Rennen auf der Bobbahn in Igls bei Innsbruck, wobei mit ihrem Alter geschwindelt wurde, denn ein Mindestalter von 18 Jahren war vorgegeben. Für das Rennrodeln benutzte man damals Bobbahnen, die meist aus Natureis bestanden, vereinzelt auch schon aus Kunsteis.

Nach dem Krieg siedelte Frau Schönnagel in den Westen über und fand in Bielefeld Arbeit. 1951 traf sie zufällig einen alten Bekannten, den es nach Hiddesen bei Detmold verschlagen hatte und der ein enger Freund des mehrmaligen Rodeleuropameisters Martin Tietze war, der ebenfalls aus Brückenberg stammte. Er ermutigte sie, mit einem geliehenen Schlitten an den Deutschen Rodelmeisterschaften teilzunehmen, wo sie auf Anhieb den 2. Platz belegte. Nach seinen Angaben ließ sie sich nun einen von Tietze entwickelten Rodelschlitten nachbauen, unser heutiges Museumsobjekt.

Der Schlitten besteht aus zähem Eschenholz mit Stahlkufen. Er ist in den Gelenken beweglich gelagert, denn das Lenken geschieht hauptsächlich durch Gewichtsverlagerung in Verbindung mit einem Lenkseil. Das zulässige Gewicht der Schlitten im Wettkampf lag bei 20 kg, die das schnittige Sportgerät jedoch nicht erreichte. Deshalb hat es eiserne Haken, an denen zusätzliche Gewichte angebracht werden konnten. Mit diesem Schlitten fuhr Erika Schönnagel 1952 zu den Europameisterschaften nach Garmisch und belegte dort hinter der Österreicherin Maria Isser den zweiten Platz.

„Es ist gar nicht so einfach, mit einer Stundengeschwindigkeit von 70 bis 80 Kilometer über die Olympia-Bobbahn zu rasen“, sagte Frau Schönnagel danach in einem Zeitungsinterview. „Und dann muß man bedenken, daß mir jegliche Trainingsmöglichkeit fehlt. In Bielefeld gibt es nicht einmal einen Verein, der dem Deutschen Rodel-Verband angeschlossen ist. Um überhaupt teilnehmen zu können, habe ich als Mitglied des VfL Hiddesen das Rennen bestritten.“ Der Verband zahlte die Fahrt und Unterkunft, ansonsten gab es für die Wettkampfteilnehmer nur eine Medaille oder Urkunde. Erika Schönnagel nahm noch an den Europameisterschaften 1953 und an den Weltmeisterschaften am Holmenkollen 1956 teil, wo sie jedoch stürzte. Danach hängte sie den Rodelschlitten an den Nagel, bis sie ihn fast 50 Jahre später dem Museum schenkte.