Schienenzeppelin •

„Silbermaus“ – dieser putzige Spitzname fiel einem Zeitgenossen angesichts eines Schienenfahrzeugs ein, das heute selbst die ICE-Züge der Deutschen Bahn alt aussehen ließe. Am 21. Juni 1931 raste der Schienenzeppelin von Franz Kruckenberg mit 230,2 km/h zwischen Hamburg und Berlin dahin und stellte einen Geschwindigkeitsweltrekord für Schienenfahrzeuge auf. Tausende Zuschauer an der Strecke wollten einen Blick auf das Fahrzeug erhaschen, neben dem sich die schwarzen Dampflokomotiven wie Dinosaurier ausnahmen.

Der Ingenieur Franz Kruckenberg (1882-1965) hatte bis zum Ersten Weltkrieg bei der Firma Schütte-Lanz in Mannheim Luftschiffe konstruiert. Da durch den Versailler Vertrag Deutschlands Aktivitäten in der Luftfahrt nach 1918 stark eingeschränkt wurden, verlegte sich Kruckenberg auf den Landverkehr. Er entwarf eine Hänge-Schnellbahn, die quasi das Luftschiff an die Schiene hängte. Vorausgegangen waren eingehende Untersuchungen des Entwurfs im Windkanal, um eine möglichst aerodynamische Form zu finden. Kruckenberg konnte jedoch keine Geldgeber für den aufwändigen Bau einer solchen Strecke gewinnen und änderte seine Pläne dahingehend, den vorhandenen Gleiskörper der Reichsbahn zu nutzen.

Sein Schienenzeppelin übertrug die Leichtbauweise der Luftschiffe auf einen schienengebundenen Triebwagen. Das Skelett bestand aus gelochten Stahlprofilen und –rohren, der Wagenkopf aus getriebenem Aluminiumblech. Überzogen war die Konstruktion, die sämtliche normalerweise hervorstehenden Teile nach innen verlegt hatte, mit einem imprägnierten und feuerfesten, silberfarben gestrichenen Segeltuch. Der Wirkungsgrad des Antriebs über den Propeller war konkurrenzlos günstig: Bei 150 km/h verbrauchte der mit einem 600 PS-Motor von BMW versehene Triebwagen nur 60 Liter Kraftstoff je 100 km.

Im Inneren hatte der Schienenzeppelin 24 Sitzplätze, die maximal auf 40-50 aufgestockt werden konnten, und war hochmodern mit Stahlrohrmöbeln ausgestattet. Trotz all seiner Vorzüge kam es jedoch zu keiner Serienproduktion. Als Einzelfahrzeug war er nicht für eine Zugbildung geeignet und wegen des Propellers nicht zum Rückwärtsfahren fähig, d. h. er musste auf einer Drehscheibe gewendet werden. Vor allem hätte sein Einsatz den Bau einer separaten Hochgeschwindigkeitsstrecke erfordert, da er nicht zusammen mit den erheblich langsameren anderen Zügen verkehren konnte. Die Reichsbahn betrieb zur selben Zeit, ohne Wissen Kruckenbergs, eigene Pläne für einen Schnelltriebwagen und präsentierte 1933 den „Fliegenden Hamburger“. Dieses mit zwei 410 PS-Dieselmotoren von Maybach ausgestattete Modell übertrug viele Elemente des Schienenzeppelins auf eine Lokomotive, die die Grenzen einer Schnellfahrt im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten ausreizte.

Wie Aufsehen erregend und die Phantasie der Zeitgenossen befeuernd der Schienenzeppelin war, beweist die Tatsache, dass bereits 1930, ein Jahr vor dem Weltrekord, die Nürnberger Spielzeugfabrik Gebr. Bing ein Modell auf den Markt brachte. Das Blechspielzeug, das sich in der Sammlung des Historischen Museums befindet, ist 28 cm lang und für die Spur 0 ausgelegt. Zwei Jahre später zog der Konkurrent Märklin nach und brachte eine eigene Variante heraus. Das große Original nahm dagegen ein trauriges Ende. Kruckenberg baute den Schienenzeppelin zwar noch auf Radantrieb um, dennoch endete sein großer Traum einer „Flugbahn“ 1939 in der Schrottpresse.