Goethe-Maske •

Hand aufs Herz – würden Sie sich ein solches Gesicht im Wohnzimmer an die Wand hängen? Es lässt an eine Totenmaske denken, die vom Antlitz eines Verstorbenen abgenommen wurde. Aber müssten dann nicht die Augen geschlossen sein? Tatsächlich handelt es sich um eine Lebendmaske und sie zierte auch tatsächlich die Wand in einem Bielefelder Wohnzimmer. Niemand geringerer als Johann Wolfgang von Goethe musste hier als Zimmerdenkmal herhalten.

Die Abformung vom Gesicht eines gerade Verstorbenen hat in vielen Kulturen eine lange Tradition. Sie hält in Wachs oder Gips die authetischen Züge des oder der Toten unbeirrt fest. In der Epoche der Aufklärung begann die Blütezeit der Totenmasken in Europa. Der Geniekult, der das große Individuum verehrte, verband sich mit dem ausgeprägten Bedürfnis nach nachempfindender Erinnerung in der Betrachtung der wirklichkeitsgetreu überlieferten Gesichtszüge.

Die Epoche war fasziniert von dem Gedanken, dass die geistigen Fähigkeiten und seelischen Dispositionen des Menschen an den physischen Details des Kopfes ablesbar seien. Johann Caspar Lavater (1741-1801) breitete in den Physiognomischen Fragmenten 1775/78 seine Theorie aus, den Charakter eines Menschen an den Gesichtszügen und Körperformen erkennen zu können. In eine ähnliche Richtung ging die Phrenologie, eine pseudo-wissenschaftliche Lehre, die von dem Arzt Franz Joseph Gall (1758-1828) herrührte. Er lokalisierte verschiedene Geistesgaben und Triebe in bestimmten Arealen des Gehirns und vertrat die Meinung, dass sie je nach Ausprägung sich in der Form des Schädels manifestierten. Die Vermessung und Klassifizierung von Schädeln, besonders von herausragenden Persönlichkeiten, war ein wesentliches Anliegen Galls.

So verwundert es nicht, dass er am 23. September 1807 in einem Brief an Bertuch in Weimar schreibt: „Wenn Goethe da ist, so beschwören Sie ihn doch, daß er mir seinen prächtigen herrlichen Kopf abdrucken läßt.“ Er rannte damit bei Goethe offene Türen ein, zeigte sich dieser doch sehr beeindruckt von Lavaters und Galls Veröffentlichungen. Er selbst hatte die Akademie aufgefordert, „auf bedeutende Personen, besonders durchreisende, Jagd zu machen“, um sie modellieren zu lassen und in einer Porträtsammlung aufzustellen. So willigte er ein, sich von dem Hofbildhauer Carl Gottlieb Weisser (1779-1815) eine Maske abnehmen zu lassen. Dazu wurden die Haare mit Pomade zugeschmiert und über einen Kern aus Pappe drapiert. Die Haut wurde mit Butter eingerieben. Augen und Mund mussten fest geschlossen bleiben, Röhrchen in der Nase ermöglichten das Atmen. Dann wurde der bereits leicht abbindende Gips aufgetragen, der recht schnell erstarrte.

Unser Exemplar der Maske trägt innen die Bezeichnung „Schadow 1816“. Tatsächlich hat der Bildhauer Johann Gottfried Schadow (1764-1850) die Maske Weissers nur nachgebildet, die unter den vielen plastischen Porträts Goethes sein Aussehen am getreusten wiedergibt. Käthe Kollwitz, die Goethe sehr verehrte, führte diese Maske zeitlebens mit sich und hielt Zwiesprache mit ihr. Ähnlich mag es der Bielefelder Musiklehrer gehalten haben, der unser Exemplar über seinem Klavier platziert hatte. Wer mit dem Genius Goethe in so engen Kontakt treten möchte, dem sei die Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin empfohlen. Dort ist die Maske noch heute für 250 € beziehbar.