Fotografie Mechanische Weberei •
33 würdig blickende Herren, die meisten mit eindrucksvollen Bärten, sind als Brustbilder in zwei Reihen im Oval angeordnet. Sie rahmen die Ansicht eines Gebäudeensembles, das sich in einem Teich spiegelt und auf den ersten Blick wie ein Schloss im neugotischen Stil aussieht. Die Schrift unterhalb belehrt eines Besseren und verrät, dass es um die Mechanische Weberei in Bielefeld geht. Im Januar 1876 aufgenommen, dürfte es sich um die älteste Fotografie dieser für die Bielefelder Industriegeschichte bedeutsamen Fabrik handeln.
Die Entstehung und das Schicksal der Mechanischen Weberei sind eng mit der Ravensberger Spinnerei verknüpft. Als dieses Unternehmen 1854 als Aktiengesellschaft gegründet wurde, sahen die Statuten neben der Errichtung einer Flachs-, Hanf- und Garnspinnerei bereits als nächsten Schritt und logische Ergänzung eine Industrieweberei vor. Ihre Gründungsversammlung fand im September 1862 im Bückhardt´schen Saal statt, genau zwischen der Spinnerei und dem Bauplatz der neuen Fabrik gelegen, und auch die Personen, die jetzt zusammenkamen, waren mit den Aktionären der Spinnerei weitgehend identisch. An ihrer Spitze stand Hermann Delius, der zum Vorsitzenden des Verwaltungsrats der Mechanischen Weberei AG gewählt wurde. Mit einem Aktienkapital von 600.000 Talern ging das Unternehmen an den Start.
Die äußere Gestalt der Fabrik, die bei der Eröffnung 1863 erst aus dem Mittelbau und dem linken Flügel bestand, machte den Zusammenhang mit der Spinnerei auch optisch deutlich. Der Ingenieur Landwehr und der Baumeister Baltzer, die dafür verantwortlich zeichneten, übernahmen den „normännischen Styl“ der Ravensberger Spinnerei, der sich am mittelalterlichen Burgenbau Englands orientierte und am preußischen Hof für repräsentative Bauwerke in Mode war. Auch bezüglich des technischen Knowhows war man noch auf die britischen Inseln angewiesen. Fast alle Maschinen wurden aus England importiert, für ihre Bedienung und Wartung Arbeitskräfte aus Belfast angeworben. Als Direktor verpflichtete der Verwaltungsrat Heinrich Nagel, der vorher eine mechanische Weberei in Schlesien geleitet hatte. Zufrieden bilanzierte Hermann Delius: „Wir stehen nicht an, zu sagen, daß mit dem geschäftlichen Beginne dieser großartigen Dampfstuhlweberei der bereits seit Jahren gährende … Umwandlungsprozeß der Ravensbergischen Leinenindustrie zum factischen Vollzug gekommen ist.“
Der wirtschaftliche Erfolg der ersten Jahre beflügelte den Ehrgeiz von Delius, die Mechanische Weberei zur größten ihrer Art auf dem Kontinent auszubauen. Der zweite Flügel mit weiteren Nebengebäuden konnte 1871 in Betrieb gehen. Unsere Fotografie zeigt die Webfabrik mit den vor der Front liegenden Teichen, die das Wasser für die Garnkocherei lieferten. Links erhebt sich das Verwaltungsgebäude mit der Dienstwohnung des Direktors. Nach hinten anschließend lagen niedrige Lagerhäuser für das Leinen. Aber worin lag der Anlass für diese repräsentative Aufnahme und wer waren die 33 Herren, die sich mit der Fabrik verewigen ließen? Hier ist man auf Vermutungen angewiesen. Im Januar 1876, also genau zum Zeitpunkt der Aufnahme, trat Carl Viering seinen Posten als neuer Direktor der Weberei an. Es ist denkbar, dass bei dieser Gelegenheit das Foto mit den Porträts der leitenden Angestellten des Unternehmens, das bereits etwa 500 Arbeitskräfte beschäftigte, entstanden ist.