Tönnchen •
„Nicht Stolz oder Eigenliebe leiteten Diederich: einzig sein hoher Begriff von der Ehre der Korporation. Er selbst war nur ein Mensch, also nichts; jedes Recht, sein ganzes Ansehen und Gewicht kamen ihm von ihr. Auch körperlich verdankte er ihr alles: die Breite seines weißen Gesichts, seinen Bauch, der ihn den Füchsen ehrwürdig machte, und das Privileg, bei festlichen Anlässen in hohen Stiefeln mit Band und Mütze aufzutreten, den Genuß der Uniform!“
So wird in Heinrich Manns satirischem Roman „Der Untertan“ aus dem Jahr 1914 der Protagonist Diederich Heßling als Mitglied einer studentischen Verbindung beschrieben. Diese Welt der Korporationen war im 19. und frühen 20. Jahrhundert von eminenter gesellschaftlicher Bedeutung, von der sich im heutigen Verbindungswesen kaum ein Nachglanz erhalten hat.
Die bunte Kopfbedeckung im Historischen Museum kann diese ehemalige Bedeutung mittelbar bezeugen. Es handelt sich um ein sogenanntes „Tönnchen“. Diese flache Kopfbedeckung ist innen mit Samt ausgekleidet und wird, ähnlich wie eine Kippa, aber meist in kecker Schräglage, am Hinterkopf getragen. In ihrer Schlichtheit gehört sie zu inoffiziellen Anlässen und wird in der Regel den inaktiven Mitgliedern, den „Alten Herren“, zugeordnet. Außen kennzeichnen die Farben und der Zirkel in der Mitte die jeweilige Verbindung. Diese ornamental verschlungenen Buchstaben gehen auf die studentischen Orden und ihre Zeichen zurück, die im 18. Jahrhundert die Vorläufer der Korporationen waren. In unserem Fall beinhalten sie die geläufigen Abkürzungen v.c.f. für die lateinischen Worte „vivat, crescat, floreat“ (= es lebe, wachse, blühe) sowie ein „A“, das für die Verbindung „Arminia“ steht.
Dass dieser Name in die ostwestfälische Region weist, ist kein Trugschluss. Die frühen studentischen Verbindungen organisierten sich an den Universitäten nach Landsmannschaften, wobei die Herkunft nach akademischem Brauch latinisiert wurde. So fanden sich z. B. die Schwaben in der „Suevia“ zusammen oder die Preußen in der „Borussia“. Als die Universitäten und die Studenten im 19. Jahrhundert zahlreicher wurden, mussten die Verbindungsnamen, um Verwechslungen vorzubeugen, phantasievoller werden. Neben Doppelnamen wie „Rheno-Francia“ wählten die Korporationen vorzugsweise germanische Stämme oder geografische Herkunftsbezeichnungen als Namensgeber. Zu einer stürmischen Vermehrung der Verbindungen kam es, als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben den Universitäten weitere Hochschulen entstanden, die sich der technischen oder wissenschaftlichen Ausbildung in eingegrenzten Bereichen widmeten.
Das Tönnchen im Historischen Museum führt zum Technikum im lippischen Lage. Dieses polytechnische Institut wurde 1911 gegründet und unterrichtete Maschinenbau, Elektrotechnik, Hoch- und Tiefbau und verwandte Fächer. Nachdem der heute noch existierende Neubau 1926 eingeweiht wurde, stieg die Zahl der Studierenden auf bis zu 800 an. Auch in Lage wollte man an dem akademischen Glanz und den Ritualen der Korporationen teilhaben und rief die „Freie technisch-wissenschaftliche Verbindung Arminia“ ins Leben. Die „Arminia“ fusionierte nach dem Zweiten Weltkrieg mit der „Amicitia“ in Lemgo und feierte noch in den 1970er Jahren ein traditionsbewusstes 50-jähriges Stiftungsfest.