Souvenirtasse •

Es dauert nicht mehr lange, dann locken wieder saftige rote Erdbeeren aus heimischem Anbau, ein Genuss, der zum Frühling und Sommer einfach dazugehört. Aber wie kommt man auf den Gedanken, eine Tasse als Erdbeere und die zugehörige Untertasse als Erdbeerblatt zu gestalten? Und, um die Kuriosität zu vollenden, auf der Erdbeere noch eine Bielefeld-Ansicht zu platzieren? Diese Fragen führen uns in das eigenwillige Reich der Souvenirs, in dem zuweilen eigene Geschmackskategorien herrschen.

Dass Geschirrteile die Form von Pflanzen oder Tieren annehmen, lässt sich vor allem im 18. Jahrhundert beobachten. Da sich die menschliche Nahrung, wenn auch meist in verarbeitetem Zustand, aus ihnen zusammensetzt, liegt darin eine gewisse Logik. Das ausschlaggebende Motiv ist jedoch die spielerische Lust an der Augentäuschung, die an den europäischen Fürstenhöfen des Barock und Rokoko ihren Tummelplatz hatte. Die neuen Manufakturen, die hochwertiges Porzellan und Fayence an die adeligen Auftraggeber lieferten, gingen mit ihren Erzeugnissen auf den Wunsch ein, an der Tafel einen überraschenden Anblick bieten zu können. Im Museum Huelsmann kann man zum Beispiel eine Deckelterrine in Gestalt einer Ente aus einer Straßburger Manufaktur oder einen Kohlkopf aus Fayence, der dem gleichen Zweck diente, beide um 1750 entstanden, bestaunen. Unsere Erdbeertasse, die aus billigem ungemarkten Porzellan besteht, ist ein zum kleinbürgerlichen Entzücken herabgesunkener Ableger dieser fürstlichen Schauobjekte.

Auf der Front der Tasse befindet sich ein Bild mit der Zeile „Erinnerung an Bielefeld“. Damit steht sie in der Tradition der Souvenirtassen aus der Biedermeierzeit, die mit einer Ortsansicht das Andenken an eine Reise oder für Fortziehende die Heimatstadt in Erinnerung halten wollten. Die feine Bemalung solcher Tassen ist hier einem einfachen bunten Umdruck gewichen. Abgebildet ist der Johannisberg mit dem Schützenhaus, das bald nach seiner Einweihung am 10. Mai 1895 neben der Sparrenburg zum Wahrzeichen der Stadt avancierte. Der Baumeister Alexander Trappen hatte mit Futtermauern das Plateau verbreitert und errichtete einen repräsentativen Bau mit Festsaal, Weinhalle, Gesellschafts- und Wirtschaftsräumen, der die damals sehr beachtliche Summe von 381.000 Mark verschlang.

Das weithin sichtbare rote Gebäude mit seinen spitzen Giebeln und Ecktürmen bildete den modernen Gegenpol zur altersgrauen Burg auf dem gegenüberliegenden Hügel und wurde fast ebenso häufig auf Postkarten und Souvenirs abgebildet. Im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, diente es nach Kriegsende, notdürftig repariert, weiter den Zusammenkünften der Bielefelder Schützengesellschaft. 1978 musste das Schützenhaus, das weitere Investitionen erfordert hätte, einem modernen Hotelbau weichen. So stellt die kuriose Tasse heute tatsächlich eine Erinnerung an ein verlorenes Wahrzeichen Bielefelds dar – und daran, dass bald wieder die Erdbeersaison beginnt.