Klingelzug •

Der Onkel ruft und zieht die Schelle:

„He, Hannchen, Hannchen, komme schnelle!“

Hektisch alarmiert der Onkel der frommen Helene in der Bilderzählung von Wilhelm Busch das Dienstmädchen, damit sie den schrecklichen Frosch entferne, dessen Anblick die Tante in Ohnmacht hat fallen lassen. Dabei zieht er mit beiden Händen an dem Ring, der am Ende eines breiten Bands befestigt ist, das von oben neben der Tür ins Bild ragt. Das Dienstmädchen eilt auch schon herbei. Damit ist die Funktion unseres Gegenstands bestens illustriert.

Der Klingelzug besteht aus einem langen, durchbrochen gehäkelten Streifen mit Rautenmuster, das an den Ecken jeweils mit kleinen Glasperlen dekoriert ist. Dieser Streifen ist auf weinroten Stoff aufgenäht, der wirkungsvoll die Durchbrüche hinterlegt. Die aufwändige Handarbeit komplettieren zwei Messingbleche mit reicher Blattwerkverzierung, die an den Enden des Streifens befestigt sind. Eines trägt eine Aufhängeöse, am anderen baumelt ein balusterförmiger Griff aus Milchglas.

Mechanische Klingelzüge, die durch eine Strippe mit einer Glocke im Dienstbotenzimmer verbunden waren, lassen sich bereits im 17. Jahrhundert belegen. Im späten 18. Jahrhundert setzte eine weite Verbreitung dieser Einrichtung in bürgerlichen und adeligen Haushalten ein, wie sie beispielsweise noch heute in Goethes Schlafzimmer in Weimar erhalten ist. Hatte man bisher auf Tuchfühlung mit dem Gesinde oder der Dienerschaft gewohnt, so schloss sich die Kernfamilie jetzt stärker ab. Die großbürgerlichen Häuser erhielten später eigene Ein- und Aufgänge für die Dienstboten, die sich meist in der Küche aufhielten. Bei großen Häusern verfügte jedes herrschaftliche Zimmer über eine Klingelschnur. Die Schnüre liefen in einem Vorzimmer zusammen und waren mit der Glocke gekoppelt, wobei unter der Decke die Räume angezeigt wurden und ein Signal erkennen ließ, in welchem Zimmer geläutet worden war.

Bis in die letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts hielten sich die oft kunstvoll gearbeiteten Klingelzüge, die das statusgerechte Vorhandensein von Dienstpersonal auch in dessen Abwesenheit demonstrierten. Dann ersetzten elektrische Klingeln, häufig verbunden mit einer Sprechanlage, den mechanischen Glockenzug. Das Hamburger Dienstmädchen Doris Viersbeck klagte 1910: „Wenn es einmal klingelte, war ich gemeint, wenn zweimal das Kleinmädchen und dreimal kurz aufeinander der Diener. Ich durfte auf mein Zeichen erst mal am Sprachrohr anfragen, was beliebte… So wünschten es die Damen. Bekam ich dann keine Antwort, mußte ich mich nach oben verfügen… ‚Mein Gott, wo stecken Sie denn?‘ das war meistens die Anrede.“

Der Klingelzug oder die elektrische Glocke riefen die dienstbaren Geister herbei, ohne die ein standesgemäßer Haushalt undenkbar schien. Um 1900 machte sich jedoch bereits bemerkbar, dass allmählich alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen entstanden, die dem oft sauren Arbeitsalltag als Dienstmädchen vorzuziehen waren. Dienstboten wurden rar und konnten vorher unerhörte Forderungen stellen. Nach dem Ersten Weltkrieg mussten die meisten Bürgersgattinnen die Hausarbeit wieder in eigene Hände nehmen, unterstützt von den ersten elektrischen Haushaltsgeräten.