Das Ravensberger Gesangbuch
Bestseller sind kein ausschließliches Phänomen unserer Tage, es hat sie auch in früheren Epochen gegeben. Ein solcher Bestseller der Frühen Neuzeit war das Ravensbergische Gesangbuch, das hier, in rotbraunes Leder mit reichem blindgeprägtem Dekor gebunden, in einer Auflage von 1762 vorliegt. Zwei Dinge sind daran besonders bemerkenswert: Eine der ältesten Ansichten der Stadt Bielefeld ziert den Titel und als Verleger tritt das Waisenhaus in Bielefeld auf.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg erschienen in verschiedenen Städten Norddeutschlands individuelle Gesangbücher. Das Bielefelder Konsistorium wollte ebenfalls eine solche Sammlung zusammenstellen und gewann als Verleger den Buchhändler Diebrock, dessen Familie seit 1665 am Alten Markt die erste Bielefelder Buchhandlung betrieb. Auf Bitten des Stadtrates erhielt Diebrock vom Großen Kurfürsten das alleinige Privileg für Herstellung und Vertrieb in der Grafschaft Ravensberg. 1725 erschien bereits die 9. Auflage, für die damalige Zeit ein großer Erfolg. Danach lässt sich die Familie Diebrock in Bielefeld nicht mehr nachweisen, ihr Privileg erlosch. Am 8. März 1746 gab Friedrich der Große das Verlagsprivileg an das Waisenhaus im ehemaligen Grest´schen Hof (heute Altbau Ratsgymnasium) weiter. Das Waisenhaus war unterfinanziert und hatte in der Vergangenheit unter anderem dadurch Geld bekommen, dass die Waisenkinder Strümpfe für die preußischen Soldaten stricken mussten. Das Waisenhaus in Halle/Saale hatte durch ein ähnliches Privileg erhebliche Einkünfte generiert. In Bielefeld wurde das Waisenhaus 1785 aufgehoben, aber die Armenverwaltung brachte zugunsten der letzten Insassen noch im Jahr 1800 die fünfte und letzte Auflage unter seinem Verlagsrecht auf den Markt.