Das Auge bekommt einiges geboten bei dieser glasierten Keramik: prächtige Farben, eine pittoreske Tracht und den Anblick einer innigen Frömmigkeit. Die Gruppe zeigt Bückeburger Frauen in ihrem Sonntagsstaat, die mit ihren Gesangbüchern auf einer Kirchenbank sitzend dargestellt sind. Während die mittlere in das Buch schaut, haben die beiden anderen den Kopf gehoben und singen. Entstanden ist die Keramik Anfang der 1920er Jahre in Bielefeld an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule. Wie kommt dieses Motiv aus der ländlichen Weserregion in die Großstadt am Teutoburger Wald?
Die Schaumburger Trachteninsel war eines der wenigen Rückzugsgebiete, wo die weibliche Bevölkerung in dieser Zeit noch teilweise Tracht trug. Allgemein wurde unterschieden zwischen der Oesterten Tracht (in der Gegend nordöstlich von Stadthagen, vor allem um Lindhorst), der Westerten (um Bückeburg bis zur Porta Westfalica) und der Friller Tracht (hauptsächlich in Frille und dem angrenzenden westfälischen Gebiet). Die Westerten wurde früher auch als „Bückeburger Tracht“ bezeichnet. Merkmale der Tracht sind die leuchtend roten Röcke und vor allem die ausladenden Schleifenhauben (Dutzenmüsse), die auf dem über der Stirn zu einem Knoten gebundenen Haar auflagen. Noch um 1850 war die Bückeburger Tracht eher schlicht, die Kopfbedeckung unauffällig. Die Volksnähe der Fürstin Hermine von Schaumburg-Lippe, die Trachten schätzte und gern selbst in Tracht auftrat, und die Wohlhabenheit der Landbevölkerung führten ab 1870 zu immer aufwändigeren Gestaltungen.
Um 1900 hatte die „Bückeburger Tracht“ durch ihr unverwechselbares Aussehen einen hohen Symbolwert für die Region erlangt. Kein Festzug, keine Publikation über Trachten kam ohne sie aus. Ähnliche Bekanntheitsgrade erreichten reichsweit nur die Altländer, die Spreewälder oder die Schwarzwälder Tracht aus dem Gutachtal, alle mehr oder weniger wegen der auffälligen Kopfbedeckungen. Bezeichnenderweise brachte die Königliche Porzellanmanufaktur (KPM) in Berlin 1909 eine Bückeburgerin, modelliert von Karl Himmelstoss, als teure Porzellanfigur heraus. Die Trachtenträgerinnen setzten ihr pittoreskes Aussehen geschäftssteigernd ein, wenn sie z.B. auf den städtischen Märkten Waren anboten. In den schaumburgischen Kurorten wurden die Gäste von Trachtenträgerinnen empfangen. Schließlich nahm sich sogar die Werbung dieser Tracht an.
Bei den Festen, die an der 1907 gegründeten Handwerker- und Kunstgewerbeschule gefeiert wurden, nahm das „Buernvergnöigen“ die erste Stelle ein. Wer sich in ländlicher Tracht kostümierte, hatte freien Eintritt. Fotos belegen, dass die auffällige Bückeburger Frauentracht dabei gern getragen wurde. Auch bei anderen Anlässen schlüpften Bürger offenbar gern in ein solches Kostüm, gar als ganze Familie, wie ein Foto aus Bielefeld um 1910 zeigt. Es war also gar nicht so ungewöhnlich, dass Franz Guntermann (1881-1963), der damals die Bildhauerklasse an der Schule leitete, dieses Motiv wählte. Religiöse Kunst nahm in seinem Werk einen breiten Raum ein und ist durchaus in dieser Plastik, wenn auch in sehr dekorativem Gewand, gegenwärtig. Guntermanns „Bückeburgerinnen“ fanden sofort Anklang. Die Plastik wurde von mehreren Museen angekauft und im „Buch der Stadt Bielefeld“ 1926 abgebildet. Dort handelt es sich jedoch um ein monochrom glasiertes Exemplar, während die Ausführung in der Sammlung des Historischen Museums durch ihre Farbenpracht besticht.