Auf den ersten Blick präsentiert sich hier ein gefälliges, buntes Blatt, auf dem man gern mit den Augen spazieren geht. Der zweite Blick offenbart jedoch, dass es von wenig erbaulichen Dingen handelt, die einem den Appetit verderben können. Es ist der Kreisverein Bielefeld der Fleisch- und Trichinenbeschauer, der dieses Erinnerungsblatt zur 25-jährigen Mitgliedschaft ausgestellt hat. Was den heutigen Fleischkonsumenten zum Glück nicht mehr betrifft, war im 19. Jahrhundert ein ernsthaftes Problem geworden.
Die Trichinen sind Fadenwürmer, die sich als Parasiten im Muskelfleisch von Schweinen einnisten und nur durch starkes Erhitzen abgetötet werden können. Der Verzehr von rohem oder nicht durcherhitztem Fleisch, das mit Trichinen belastet ist, führt zur Trichinellose. Die Krankheit äußert sich in verschiedenen, meist unspezifischen Symptomen, die längere Zeit anhalten können und im Einzelfall, wenn der Herzmuskel angegriffen wird, auch tödlich enden kann. Dass nicht durchgegartes Schweinefleisch Krankheiten hervorrufen kann, war bereits in der Antike bekannt, ohne dass man den Grund dafür wusste. Mit der Verbannung des Schweins als „unreines Tier“ vom Speisezettel beugten verschiedene Kulturen dieser Gefahr vor. Bei genauem Hinsehen waren die wenige Millimeter langen Parasiten auch mit bloßem Auge zu entdecken. Da der Zusammenhang mit der Erkrankung jedoch lange nicht bekannt war, galt dieses „finnige“ Fleisch nur als minderwertig und wurde zu günstigeren Preisen angeboten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland schätzungsweise 15.000 Krankheitsfälle im Jahr.
In den 1860er Jahren kam es zu mehreren Trichinenepidemien, doch erst 1865 wies der berühmte Arzt Rudolf Virchow endgültig den Zusammenhang der Erkrankungen mit dem Parasiten nach. Der preußische Staat reagierte mit einem Bündel von neuen Gesetzen, die die Errichtung öffentlicher, ausschließlich zu benutzender Schlachthäuser und eine obligatorische Fleischbeschau mit mikroskopischer Untersuchung festlegten. Mit dem Reichsgesetz vom 3. Juni 1900 wurde eine allgemeine gesundheitspolizeiliche Untersuchung jedes zum menschlichen Genuss vorgesehenen Fleisches eingeführt.
Genau dieses Gesetz führt der weibliche Genius auf unserem Diplom im Schilde. In fünf Bildern stellt es die Schlachtung eines Rinds im Schlachthof und die nachfolgende Untersuchung des Fleisches dar. Der Bielefelder Schlachthof war am 16. Dezember 1884 eröffnet worden. Er ging auf eine Initiative von 26 Fleischermeistern zurück, die 1876 eine Innung gegründet hatten. Als der Schlachthof acht Jahre später eröffnet wurde, übertrug ihn die Stadt, die ihn ursprünglich selbst betreiben wollte, der Innung – ein in Deutschland einmaliger Fall. Von den damals errichteten Gebäuden existieren noch der Verwaltungsbau und die Gaststätte, die beide unter Denkmalschutz stehen. Das übrige Gelände, seit 1997 nicht mehr genutzt, wurde in jüngster Vergangenheit mit einem Wohnquartier überbaut. Die erfolgreiche Tätigkeit der Trichinenbeschauer führte übrigens dazu, dass Mitte des 20. Jahrhunderts die Trichinellose in Deutschland fast vollständig verschwunden war.