Düngerstreuer „Westfalia“
Schon in der Antike war den Menschen das Problem bewusst, dass der Anbau von Feldfrüchten rasch den Boden auslaugt. Mit organischen Düngemitteln wie den Exkrementen von Mensch und Tier führte man dem Boden wieder Mineralien und Nährstoffe zu. Auch die Gründüngung mit stickstoffhaltigen Pflanzen, die untergepflügt wurden, war schon lange bekannt. Im 19. Jahrhundert nahm die Weltbevölkerung rasant zu, die Produktion von Getreide und Futterpflanzen weitete sich entsprechend aus und machte eine effektive Düngung immer wichtiger. Hier kommt dieser grün lackierte Kasten ins Spiel, der aus Bielefeld in viele europäische Länder gelangte.
Der bedeutende Chemiker Justus von Liebig (1803-1873) erkannte, dass anorganische Stoffe wie Stickstoff oder Phosphate das Pflanzenwachstum anregen, während seine Zeitgenossen die Nährstoffe nur im organischen Humus vorliegen sahen. Liebig ebnete den Weg für die industrielle Herstellung von Kunstdünger. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steckte die Mechanisierung der Landwirtschaft noch in den Kinderschuhen. So sah sich der Bauer, der Kunstdünger mit der Hand ausbringen wollte, vor zwei Probleme gestellt: Der Dünger war ätzend und reizte Haut und Augen, außerdem klumpte er leicht zusammen und ließ sich nicht gleichmäßig verteilen.
Heinrich Kuxmann baute seit 1895 in seiner Bielefelder Fabrik ein Gerät, das diese Probleme löste. Sein patentierter Düngerstreuer bestand wie andere Modelle aus Fahrgestell, Düngerkasten und Streuvorrichtung. Er nutzte jedoch eine Transportkette als Streumechanismus, die den Dünger in gleichmäßige Bröckchen zerteilte und mit einer automatischen Reinigung der Kettenglieder ihr Verstopfen verhinderte. Unter dem Namen „Westfalia“, der damals für unterschiedlichste Artikel sehr beliebt war, wurde der Düngerstreuer schnell zum Erfolg und erwies sich auch als Exportschlager. Kuxmann stellte ihn in verschiedenen Größen her, die von einem oder zwei Pferden und bald auch von einem Traktor gezogen werden konnten.
Nach dem Ersten Weltkrieg verlor die Firma viele Kunden in Osteuropa. Die Bauern hatten zudem kaum Kapital, um in Düngerstreuer und andere Landmaschinen, die jetzt ebenfalls von Kuxmann gebaut wurden, zu investieren. So ging man 1924 dazu über, zusätzlich Fahrräder ins Programm aufzunehmen. In der Fabrik an der Beckhausstraße entstanden außerdem Transportmittel für die Forstwirtschaft. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bomben die Fabrik, die nach Kriegsende rasch wieder aufgebaut wurde. Die Familie Kuxmann konzentrierte sich auf das Kerngeschäft, die Produktion von Streuern. Heute verlassen elektronisch gesteuerte Streuer mit einer Streubreite von 12 bis 36 Metern, aber auch andere Land- und Baumaschinen die Bielefelder Fabrik und gehen in alle Welt. Nur der Markenname „Westfalia“ findet sich nicht mehr, der auf unserem Modell aus den 1920er Jahren stolz mit dem Hinweis auf die zahlreichen Auszeichnungen prangt.