Badeglas

Wer heute von seiner Krankenkasse auf eine Kur geschickt wird, hat in der Regel einen mit verschiedenen Anwendungen vollgepackten Tagesablauf, der wenig Zeit für die Annehmlichkeiten des Kurorts lässt. Trotzdem bringt man meistens ein Andenken an diesen Ort mit nach Hause. Das war vor 150 Jahren auch nicht anders, auch wenn das dickwandige, aufwändig geschliffene Glas, um das es hier geht, schon für den besser gefüllten Geldbeutel gedacht war. Der aufgebrachte Name erinnert zudem an eine interessante Persönlichkeit aus Bielefeld.

Der Fußbecher aus farblosem Glas mit geschälter Wandung trägt drei plastisch vortretende Rundmedaillons. Eins zeigt eine Brunnenhalle mit einem angrenzenden Gebäude, betitelt „Sprudl“, das zweite einen freistehenden Rundtempel unter Bäumen, mit „Theresienbrun“ beschriftet. Damit lässt sich der Ursprung des Glases bestimmen: der berühmte böhmische Kurort Karlsbad. Schon im späten Mittelalter waren die dortigen zahlreichen Mineralquellen für ihre Heilwirkung bekannt. Neben kalten Quellen, die für Trinkkuren genutzt wurden, standen heiße wie der bekannte „Sprudel“ für äußere Anwendungen. Karlsbad, durch seine schöne Umgebung ausgezeichnet, entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem der mondänsten Kurorte Mitteleuropas.

Nachdem mit Ortsansichten bemalte Gläser schon im frühen 19. Jahrhundert aufkamen, ging man in Böhmen dazu über, die Abbildungen ins Glas zu schneiden oder zu schleifen. Solche Andenkengläser wurden für die Kurgäste in großer Zahl angefertigt, aber auch die Möglichkeit bedacht, sie individueller zu gestalten. Ein Almanach aus Teplitz berichtet 1830 von Glashändlern, „welche die Kurzeit hindurch ihre Waren zu den billigsten Preisen verkaufen, auch mit Akkuratesse auf Verlangen die ihnen vorgelegten Wappen, Namen, Devisen, Zeichnungen, ja sogar Porträts in die Glaswaren und Steine schneiden. Man kann nicht wohl elegantere und wohlfeilere Andenken… mitbringen, als diese Glaswaren, die daher auch einen guten Absatz finden.“ Unser Badeglas trägt, auf dem dritten Medaillon eingeschliffen, die Aufschrift „C. Grovemeyer 1870“.

Carl Grovemeyer (1819-1885) stammte aus Bielefeld. Er war der Sohn eines Steuereinnehmers und wollte ursprünglich Theologie studieren, wurde aber dann Lehrer. Zunächst war er in Heepen angestellt, dann als Oberlehrer an der 1. Bürgerschule in Bielefeld. 1873 trat er in kirchliche Dienste und versah die Stelle als Kantor an der Altstädter Kirche. Zugleich fungierte er als Armenprovisor und erwarb sich dabei den Ruf eines tatkräftigen und mildtätigen Mannes. Er war wesentlich an der Gründung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg beteiligt und beherbergte anfangs in seiner Dienstwohnung am Altstädter Kirchplatz die Altertümer, die der Verein zusammentrug. Als er starb,  bezeichnete ihn ein Nachruf geradezu als „Hausgeist des alten Bielefeld“. Das Badeglas aus Karlsbad erinnerte ihn bis zuletzt an (hoffentlich) angenehm verlebte Tage in dem berühmten Kurort.