Postkarte •
Karl heißt der junge Mann, der am 8. November 1896 an ein Fräulein Hesse in Hannover folgende Zeilen sendet:
I weiß net, was i machen soll,
Drum send i Dir ne Karte,
Indessen einen Brief von Dir
Ich morgen noch erwarte.
Der nicht ganz geglückte Versuch, den oberbayerischen Dialekt zu imitieren, hat mit dem Ort zu tun, an dem der Schreiber seine Zeilen zu Papier bringt: die Münchner Bierhalle in Bielefeld. Was heute eine Kurznachricht auf Whatsapp oder ein Beitrag in einem Chat wäre (wobei die Erwartung eines Briefs heute wohl als Zumutung gelten würde), war immerhin der Anlass für die älteste Postkarte in der Sammlung des Historischen Museums.
Ziemlich genau 150 Jahre reicht die Geschichte der Postkarte in Mitteleuropa zurück und auch wenn die Zahl der versendeten Karten seit den 1990er Jahren kontinuierlich abnimmt, ist sie mit 195 Millionen (2017) im deutschen Postverkehr nach wie vor ein bedeutsamer Faktor. Bereits 1865 hatte der spätere Generalpostdirektor Heinrich von Stephan ein „offenes Postblatt“ als einfaches und billiges Medium für kurze Mitteilungen vorgeschlagen. Der Gedanke, dass jeder diese Nachrichten lesen könne, war jedoch so ungewohnt, dass die Einführung erst einmal unterblieb. Die österreich-ungarische Post wischte die Bedenken beiseite und brachte am 1. Oktober 1869 die „Correspondenz-Karte“ auf den Markt. Die schlichte Karte besaß eine eingedruckte Briefmarke, deren Wert beim Kauf erstattet wurde – die Karte gab es also quasi gratis dazu.
Die „Correspondenz-Karte“ erwies sich als Renner und wurde ein Jahr später auch in Deutschland eingeführt. Der deutsch-französische Krieg 1870/71 beschleunigte den Siegeszug des kleinen Papierrechtecks. Millionen Feldpostkarten trugen in Kurzform beruhigende oder traurige Nachrichten von der Front nach Hause. In den 1870er Jahren tauchen die ersten kleinen Abbildungen, häufig mit Werbebotschaften, auf der Anschriftenseite auf. Ein Jahrzehnt später haben sich Stadt- oder Gebäudeansichten, Sehenswürdigkeiten und andere Motive über die halbe Seite ausgedehnt. Diese Lithografien erhielten zusätzlichen Reiz, als in den 1890er Jahren auch farbig gedruckt werden konnte. Die hübschen Bildchen wurden aber oft beeinträchtigt durch den geschriebenen Text, da die Vorderseite der Adresse vorbehalten war. Erst 1905 löste sich das Dilemma: Die Anschriftenseite wurde geteilt und stand auch dem Text zur Verfügung, die Rückseite war dem Bild vorbehalten.
Neue Druckverfahren und die Fotografie verdrängten nach 1900 allmählich die Lithografie bei der Herstellung von Postkarten. Bis zum Ersten Weltkrieg wurden Milliarden von Postkarten in Deutschland verschickt und teilweise auch in dicken Sammelalben verwahrt. Die Palette der Motive war äußerst bunt. Über den ästhetischen Reiz hinaus sind viele Postkarten auch von ortsgeschichtlichem Interesse, da sie selbst kleine Dörfer, Straßenzüge oder Ausflugslokale abbilden. Unsere Karte ist dafür ein gutes Beispiel. Die „Münchner Bierhalle“ entstand durch einen Umbau der früheren Seidenweberei Wertheimer am Niederwall. Fritz Remke hatte das Gebäude 1890 erworben und fügte an die Gastwirtschaft einen Theatersaal an. Hier fanden vor dem Bau des Stadttheaters Aufführungen statt. Später enthielt das markante Eckhaus kurze Zeit ein Kino und danach das „Metropol“-Varieté. Unverändert blieb aber das Vorderhaus dem Genuss von bayerischem Bier gewidmet.